Landesverband Epilepsie Bayern e.V.

Wir sehen jetzt das Wesentliche

Wir sehen jetzt das Wesentliche

Bei unserer Tochter kam von Anfang an eines nach dem anderen dazu. Bis zur Geburt war alles gut. Ich hatte einen Kaiserschnitt mit Vollnarkose. Schon am ersten Tag teilte uns der Arzt mit, dass eine Darmfehlbildung vorliegt und ein Fingeranhängsel besteht und unsere Tochter operiert werden muss. Von da an lief wenig normal in unserem Leben.

Die Epilepsie war ein "Geschenk" zum Schulanfang. Es ging alles so schnell. Es passierte abends im Einkaufszentrum, ganz ohne Vorwarnung. Unsere Tochter hatte einen Sturzanfall und fiel ohne Bremsen plötzlich zu Boden. Ich war so hilflos und sagte zu ihr "komm, steh auf". Wir hatten Glück, dass zufällig ein Notarzt daneben stand und den Rettungswagen alarmierte.

Durch die Diagnose veränderte sich einiges im Alltag unserer Familie. Klinikaufenthalte bestimmten die letzten zwei Jahre unseres Lebens, einmal waren wir 46 Tage am Stück in einer Spezialeinrichtung. Aber es ging nicht ohne. Und ich habe dazu gelernt: ich packe auch immer etwas für mich mit ein, weil wir nie wissen, wie lange der Aufenthalt wird. Eine gute medizinische Versorgung und Vertrauen zum Arzt ist wesentlich, um die Zeit durchzustehen.

Ich bin immer für alles vorbereitet, Urlaub schließe ich nur noch mit einer Reiserücktrittversicherung ab. Aber wir machen Urlaube und genießen die Zeit zusammen.

Für uns ist es ganz wichtig, dass wir die Struktur und Pausen einhalten, dann ist vieles möglich.

Der Freundeskreis änderte sich durch die Erkrankung. Anfangs war ich viel mit Eltern von "normalen", gesunden Kindern unterwegs. Im Förderkindergarten machte ich die Erfahrung, dass es schön ist, mit seinem Kind nicht aufzufallen – alle sind normal, so wie sie sind.

In der Elterngruppe fühle ich mich verstanden, die wissen, was es heißt, ein Kind mit Epilepsie zu haben und wie damit umzugehen. Ich wünsche mir, dass wir uns weiterhin regelmäßig treffen. Wir fühlen uns sehr verbunden. Andere Freunde habe ich nicht mehr viele.

Meine Familie wohnt weit weg. Mein Vater sagte einmal, da habt ihr echt viel mitgemacht.

Die besondere Fähigkeit meines Kindes ist, dass sie sehr genau weiß, was sie will und sie ist auch sehr selbstbewusst. Sie kommt gut mit den Mitmenschen zurecht in ihrer ganz besonderen Art und geht sehr offen und herzlich auf sie zu. Sie liebt das Leben und begeistert sich mit voller Intensität für schöne Dinge. Zurzeit brennt sie für Fußballturniere.

Es ist wirklich bewundernswert, wie sie alles wegsteckt.

Ohne die Epilepsie wäre unser Leben oberflächlicher, wir würden den ganz normalen Alltag weniger wertschätzen. Wir sehen jetzt das Wesentliche: Wir können zusammen sein, genießen ruhige Zeiten, sorgen gut für uns als Familie. Wir freuen uns über einen Tag, der gut gelaufen ist.

Severine, Mutter von Tamina, 11 Jahre