Die Epilepsie ist Teil meines Lebens
Als ich noch ein Kind war, sagten die Lehrer immer, ich wäre ein Träumer. Mit 11 Jahren wurde die Diagnose Epilepsie gestellt. Da war klar, dass meine „Träume“ sensorische Anfälle waren. In der Schule habe ich dann bemerkt, dass ich langsamer bin, das Erinnerungsvermögen hat nachgelassen. Ich musste oft was doppelt machen. Trotzdem habe ich mich bis zur Realschulreife durchgebüffelt. Bei der Stadt habe ich einen Ausbildungsplatz zum Verwaltungsfachangestellten bekommen, ein Glücksfall. Da bin ich heute noch. Der Beruf ist für mich sehr wichtig. Um es mir zu beweisen, habe ich den Angestelltenlehrgang II gemacht und gut geschafft. Ich arbeite zwar in einer leichteren Position, denn eine mehr fordernde Tätigkeit wäre wegen der vielen Anfälle, Krankheitszeiten und Klinikaufenthalte einfach zu anstrengend und würde meiner Gesundheit nicht gut tun.
Freunde habe ich immer gehabt. Schwieriger war es, 'ne Freundin zu finden. Ich war schüchtern und hatte dazu noch die Epilepsie. Da ist manche wieder abgedampft. Das hat's nicht leichter gemacht mit meinem Selbstvertrauen und ich habe mich sehr zurückgezogen. Mit 19 Jahren traf ich dann meine zukünftige Frau, die zu meiner Epilepsie nur meinte: "Der eine hat das, der andere was anderes." Wir sind jetzt seit über 30 Jahren glücklich verheiratet. Sie nimmt mich so, wie ich bin und da gehört eben meine Epilepsie dazu. Schön, dass ich so eine Frau gefunden habe, sie hilft mir mit allem klarzukommen.
Eigentlich habe ich alles, was es an Arten von Anfällen gibt, und diese auch noch zahlreich. Verletzungen, gebrochene Rippen, blaue Flecken, kenne ich alles. Aber zum Glück ist noch nie was Extremes passiert. Na ja, nach meiner letzten OP habe ich schon gehofft, dass es mit den Anfällen besser wird. Das hat sich leider nicht bestätigt, die Anfälle blieben. Bei einer nachfolgenden Depression konnte ich noch rechtzeitig die Notbremse ziehen und bin in's BKH gegangen. Jetzt geht's mir wie-der gut. Wichtig ist, sich Hilfe zu holen, wenn man sie braucht. Das habe ich durch meine Krankheit gelernt.
Für mich war die Epilepsie immer Teil meines Lebens. Ich bin damit aufgewachsen und daran gewöhnt.
Natürlich stört es mich manchmal auch, wenn ich Anfälle habe. Aber wenn der Anfall vorbei ist, dann ist er halt auch wieder vorbei. Gerade gestern hatte ich einen großen tonisch-klonischen Anfall am Arbeitsplatz. Meine Kollegen haben sich gut um mich gekümmert, und weil keine Verletzung vorlag, vernünftigerweise auch keinen Notarzt gerufen. Ich habe mich 1 Stunde ausgeruht, dann war die Sache erledigt und ich habe weitergearbeitet.
Die Berufstätigkeit gehört ohnehin mit zum Wichtigsten in meinem Leben. Was Sinnvolles, Wertvolles zu tun, das möchte ich bis zum Schluss.
Gefehlt hat mir nach der ersten OP 1990 der Kontakt zu Betroffenen. Es gab keine Angebote. Und so habe ich 1992 die Augsburger Selbsthilfegruppe Epilepsie e. V. gegründet, in Zusammenarbeit mit dem BKK-Gesundheitsförderungszentrum Schwaben. Und wie wichtig das ist, zeigt auch meine Auszeichnung mit dem Ehrenzeichen des Bayerischen Ministerpräsidenten für Verdienste von im Ehrenamt tätigen Frauen und Männern, die mir 2012 verliehen wurde. Das hat mich sehr gefreut, weil so mein Engagement in der Selbsthilfe gewürdigt wurde.
Mit den Ärzten bin ich eigentlich recht zufrieden. Durch die lange Erfahrung mit der Erkrankung weiß man selbst auch oft gut Bescheid. Sich zu informieren hilft, um ernst genommen zu werden, zum Mitreden und Mitentscheiden. Bei den meisten Ärzten ist dies auch gut möglich.
Und zum Schluss, weil es vielleicht noch nicht Alle wissen: Bei Epilepsie ist nicht die Intelligenz betroffen, wir haben kein Schepperle - oder besser gesagt: nicht mehr oder weniger als alle anderen ;-)
Stefan, Betroffener, 55 Jahre